Dienstag, 11. November 2008

Bittere Bilanzen

Zahltag in der Klinik :

diesmal hab ich mal mitbekommen, was die "Putzfrau" (die auch noch wichtige Botengänge macht und genau weiss, wo was zu finden ist), was die Sekretärin meines Chefs verdienen.
Da bin ich ja fast vom Hocker gefallen :
Anita, unsre "Hausmeisterin", bekommt keine 400 Reais im Monat, weniger als ein Mindestlohn !
Die Sekretärin bekommt grad mal 430 Reais für einen mindestens 9-Stunden-Tag.
Mein Gehalt der Klinik ist zumindest um 100 Reais höher und wird auch noch durch die Gebühren aufgebessert, die ich pro Operation von den Patienten bekomme, sodass es fast doppelt soviel ist.

Aber für 400 Reais den ganzen Monat hart arbeiten, das ist schon heftig...
Und dann sehen, dass der Chef manchmal 800 Reais an einem Tag an Privatpatienten verdient !!!

8 Kommentare:

kvinna hat gesagt…

Hm - was sagtest du noch über die Lebensmittelpreise bei euch? Und der Preis für ein Glas mit 200g (so kleine Abpackungen gibt es bei uns gar nicht!) der allseits bekannten Nuss-Nougat-Creme? Nur, dass ich das mal in Relation setzen kann...

Ursel hat gesagt…

Hy Kvinna,
also mit 400 RS kann man eine vierköpfige familie nur ganz knapp pro Monat ERNÄHREN. Und das reicht nicht mal.
Der Sack Reis (5 kg) kostet von 8 bis 12 RS, davon braucht die 4-köpfige Durchschnittsfamilie einen pro Monat. Das Kilo Bohnen ist auch teurer geworden mir 3-5 RS, davon ca. 2-3 kg pro Monat.
Das Kilo Brot kostet um die 5 RS !
Insgesamt schwanken die Preise stark und von Tag zu Tag. Wer knapp bei Kasse ist, muss viel Zeit mit Vergleichen und in mehreren Geschäften kaufen verbrauchen. 5 kg Mehl kosten ca. 8 RS, 5 kg Zucker um die 4 RS. Milch ist auch recht teuer im Vergleich mit ca. 1,40 RS pro Liter.
Der Stadtbus kostet seit diesem Monat 2,20 RS pro Fahrt.
Reicht das ?
Ach so : Nutella ist natürlich Luxus und kostet im 180-g-Glas ca. 5 RS..
Wir können uns seit 3 Monaten aussuchen, ob wir lieber Busfahrkarten als Gehaltszuschuss bekommen möchten oder denselben Betrag in einer Lebensmittelkarte für den Supermarkt. Das sind dann nochmal 250 RS zusätzlich. Wenigstens etwas !
Trotzdem wäre den Kolleginnen die Summe im Gehalt lieber, damit sie darüber frei verfügen können..

Liebe Gruss
Ursel

kvinna hat gesagt…

Ich könnt' mich ja jetzt am 180-g-Glas Nutella aufhängen, wenn mir nach Späßen wäre.

Aber Google hat mir gerade die BRL in EUR umgerechnet (Praktisch: gib' "1 EUR in BRL" ein und Google wird selbst zum Währungsrechner, braucht also gar keinen zu suchen!) und da ist mir spätestens das Staunen zur bitteren Erkenntnis geworden.

Warum sind die Preise denn so unstabil (was ja alles nur noch schlimmer macht: hart arbeiten und dann auch noch sehr intensiv und zeitraubend preisvergleichend einkaufen)?

Fragt eine völlig naive, weil ahnungslose satt-zufriedene Niederrheinerin...

Ursel hat gesagt…

Liebe Kvinna,

das mit den unstabilen Preisen wüsste ich wirklich auch gern..
ob sie die Leute so abhängig lassen/machen wollen ?
Ich bin mittlerweile glücklicherweise in der Lage, nicht mehr so stark die Preise vergleichen zu müssen, da wir gleich 2 mal Lebensmittelzuschuss zu unsern beiden Gehältern bekommen und die Post ist da mit 500 RS echt fair :)
Ganz liebe Grüsse
Ursel

kvinna hat gesagt…

Lebensmittelzuschuss, hm, das klingt wie Sozialismus. Aber lebt ihr nicht in einem liberalen, demokratischen System? Mal wieder eine völlig naive Frage, ich weiß schon.

mondin hat gesagt…

Doch, Brasilien ist eine föderative Republik, nix Sozialismus.
Aber wohlwissend, dass die Gehälter gering sind, haben viele Unternehmen (vor allem die öffentlichen, grossen) begonnen, den Angestellten ausser des Lohns noch - staatlich bezuschusste, nehme ich an - Lebensmittel- und/oder Fahrtkostenzuschüsse zu zahlen.

Gabriela B. Lopes hat gesagt…

Hallo ihr zwei,

das mit den Lebensmittelkarten und Fahrtkostenzuschüssen ist wohl ähnlich wie in D. Ich hatte auch eine zeitlang Zuschüsse von der Firma bekommen. Die Firma musste dann weniger Abgaben zahlen und ich nicht noch mehr Steuern.

Das mit den Preisen ist so eine Sache. In Europa gibt es einige Mittel und Wege, die Wirtschaft zu beeinflussen. Wird zu viel Milch oder Getreide produziert, kauft der Staat beispielsweise einiges davon auf und bunkert es ein (Milch als Pulver). Interventionskäufe nennen sie das. Die Preise bleiben somit stabiler. Dazu bei trägt auch, dass es in D nur noch sehr wenige Konzerne (Wenn ich mich recht erinnere waren es gerade einmal drei im Einzelhandel) gibt, die die Macht der Preisgestaltung ausüben. Weniger Konzerne, weniger Konkurenz, weniger Preisschwankungen.

In Brasilien ist das System noch nicht so ausgereift. Es gibt kaum Interventionskäufe. Vieles wird auch exportiert - ohne dabei feste "Vorverträge" zu haben. Vorverträge haben in D nicht nur Firmen sondern auch viele Landwirte. Pfanni kauft zum Beispiel ein Kontingent an Kartoffeln zu einem festen Preis. Ist die Ernte gut, müssten theoretisch die Preise purzeln, weil das Angebot grösser ist. Tun sie aber nicht, weil ja im Vorvertrag der Preis von Pfanni schon festgelegt ist. Das gilt nicht nur für Kartoffeln, sondern auch für fast alle Getreidearten, Milch, Hopfen usw. In Brasilien ändern sich die Preise hingegen schnell, je nach Ernteerfolg und je nachdem wieviel exportiert wird. Wird viel exportiert, bleibt weniger fürs eigene Land, wird das Wenige somit teurer. Sojaöl ist da ein gutes Beispiel.

Der Einzelhandel ist auch noch nicht so stark von Konzernen dominiert. Es gibt noch jede Menge kleine Supermärkte und sogar Supermarktketten, die sich eben gegenseitig Konkurrenz machen, nicht nur beim Verkauf ihrer Produkte, sondern auch beim Einkauf.

Einen Einfluss auf die Preise hat auch der Ölpreis. In Brasilien sind die Wege vom Erzeuger bis zum Käufer ewig viel länger und beschwerlicher, die Frachtkosten somit höher. So sind bei der Ursel Reis, Mehl, Zucker, Bohnen um einiges billiger als hier an der Küste. Rund um Cascavel gibt es eben mehr Anbauer als bei uns. Nur die Milch, die ist hier billiger...

Zu den Gehältern möchte ich noch anmerken, dass die Herren Politiker das Hundertfache von dem verdienen, was die Sekretärin bekommt. Brasilien ist das Land der Erde, das die bestbezahltesten Abgeordneten hat (im Vergleich zum Rest der Bevölkerung). Wer hier reich ist, ist wirklich reich und schert sich kaum darum mal eben 1000 (tausend) REais für ein Abendessen auszugeben, während er der Haushälterin nur 400 Reais im Monat zahlt. Mit anderen Worten, die Reichen sind reich, nicht nur, weil sie viel verdienen, sondern auch, weil sie ihren Angestellten in ungerechterweise wenig bezahlen. Daran stören sich aber nur wenige. Auf die Strasse geht hier deshalb jedenfalls kaum einer. Und die Politiker wollen auch nicht wirklich etwas daran ändern, weil sie ja dann ihren Angestellten mehr bezahlen müssten und somit ihre Einnahmen schrumpfen würden...

Liebe Grüsse von der, die sich auch gegen solche Strukturen wehrt...

Gabriela

Ursel hat gesagt…

Liebe Gabriela,

danke für wieder eine klasse Recherche !!
Du kannst das alles viel besser erklären !

Ja, ich wehre mich dagegen, sagen kann ich nicht allzuviel zu meinen Kolleginnen, sonst krieg ich noch eins auf den Deckel, dass ich sie "aufwiegele" ;)
Aber ab und zu kann ich meine Klappe nicht halten..

Liegt mir schon schwer im Magen, aber ich lerne, damit umzugehen, ohne es zu akzeptieren.

Ganz liebe Grüsse
Ursel